16. Mai 2013

“Mein Sohn in Haft”

Im Alter von 14 Jahren entschied sich unser Sohn Stefan aus voller Überzeugung, Christ zu werden. Prompt wurde er kurz danach auf eine harte Probe gestellt. Er geriet an falsche Freunde, bekam es mit Alkohol zu tun, und wir Eltern schienen auf einmal keinerlei Einfluss mehr auf ihn zu haben.

Zwei Jahre später, im letzten August, stand auf einmal die Polizei bei uns vor der Tür. Er wurde verhaftet wegen schweren Raubes, zusammen mit drei Freunden.

Ich als Mutter fühlte mich mit der Situation völlig überfordert. Tagelang traute ich mich nicht aus dem Haus. So etwas hätte ich mir nie vorstellen können. Stefan saß in Untersuchungshaft. Erst nach fünf Wochen durfte ich ihn zum ersten Mal sehen – hinter einer Trennscheibe, mein eigener Sohn!

Ihn nicht berühren dürfen

Überwachte Gespräche, keine Möglichkeit, ihn in den Arm zu nehmen oder einfach nur zu berühren – ein halbes Jahr lang sollte das so gehen. Dazu kam noch die meist unfreundliche Behandlung der Bediensteten. Beeindruckt aber hat mich, wie Stefan mit der Situation umging. Er fand zum Glauben zurück. „Als ich in die Zelle gebracht wurde, hat Jesus dort schon auf mich gewartet“, sagte er mir gleich beim ersten Besuch. Natürlich erlebte er viele unschöne Dinge im Gefängnis, aber er akzeptierte seine Situation. Er war der Meinung, dass er diesen Weg gehen musste, um wieder zur Besinnung zu kommen. Sonntags ging er in den Gottesdienst und hielt engen Kontakt zum evangelischen Seelsorger.

Vorurteile auch in Kirche

Ich selbst konnte nicht halb so gut mit der Situation umgehen. Ich fühlte mich so allein, und natürlich machte ich mir schwere Vorwürfe. Meine Eltern hielten mir vor, alles sei meine  Schuld. Unsere Familie wurde immer wieder mit Hochmut, Vorurteilen und auch absoluter Verurteilung von Inhaftierten konfrontiert, selbst in der Kirche. Es war schwer, das auszuhalten. Aber ich muss zugeben, dass ich nicht weiß, ob ich selbst ein Jahr zuvor so viel besser reagiert hätte.  Und zum Glück gab es viele Menschen, die mit uns gefühlt und uns unterstützt haben. Auch unsere Nachbarn waren für uns da.

In dieser Zeit entdeckte Stefan das Schwarze Kreuz und machte mich darauf aufmerksam. Im Kalender, im Blog und  in den „Lebenszeichen“ fand ich Halt. Mir half allein schon in der Erkenntnis, dass wir nicht die einzigen in einer solchen Situation waren. Zu Weihnachten durften wir Stefan nichts schicken. Darum beteiligten wir uns an der Paketaktion. Es war für uns ein gewisser Trost, wenigstens einem anderen Inhaftierten etwas Gutes tun zu können.

Keine Schule will ihn mehr

Nach einem halben Jahr in Haft wurde Stefan von einem Tag auf den anderen nach Hause entlassen. Das Oberlandesgericht hatte entschieden, dass er bis zur Verhandlung fünf Wochen später bei uns bleiben durfte. Damit nun kam Stefan überraschend gar nicht gut zurecht.  Ängste meldeten sich plötzlich: „Fünf Wochen es schön haben zu Hause, und dann sperren sie mich wieder ein?!“

Doch während der Verhandlung kam die große Überraschung: Stefan bekam zwei Jahre auf Bewährung. Er durfte zuhause bleiben! Meine Freude bekam einen Dämpfer, als ich die Mutter des Haupttäters bei der Urteilsverkündung weinen sah. Ihr Sohn bekam viereinhalb Jahre – ohne Bewährung. Da litt ich als Mutter einfach mit.

Jetzt ist Stefan 17 Jahre alt geworden, bei uns zuhause. Das hätten wir vor einiger Zeit noch nicht zu hoffen gewagt. Ein Wermutstropfen: Aufgrund seiner Haft will ihn keine staatliche Schule wieder aufnehmen. Da er seine allgemeine Schulpflicht hinter sich gebracht hat, ist keine mehr dazu verpflichtet. Vor der Haft war er auf dem Gymnasium. Jetzt geht er auf eine Privatschule, die uns natürlich viel Geld kostet. Demnächst macht er seinen qualifizierten Hauptschulabschluss. Danach sehen wir weiter.

N.N. (Name dem Schwarzen Kreuz bekannt)

Foto: Petra Bork, pixelio

Unsere anderen Kanäle:

Abonniere unseren Newsletter:

Wer nichts Böses tut, hat damit noch nichts Gutes getan.

Karl Heinrich Waggerl
Aus unserem Jahreskalender